Ein Jahr nach der Flutkatastrophe: „Zeit geben, dass die Seele hinterherkommt“

Gedenken, Andacht und Gebeten an vielen Orten und genauso auch weiterhin ganz viele Hilfe und Unterstützung: Die evangelische Kirche und Diakonie sind für die Menschen, die vielen Leidtragenden nach der Hochwasserkatastrophe vor einem Jahr in der Voreifel und an der Ahr da. Hier jüngste Eindrücke:

Jede Glocke ist ein Gebet. 54 Mal füllt ein heller, nachhallender Ton die neogotische Herz-Jesu-Kirche im Stadtzentrum von Euskirchen. Ein Glockenschlag für jeden Menschen, der vor einem Jahr bei der nächtlichen Hochwasserflut aus Nordrhein-Westfalen ums Leben gekommen ist und stellvertretend auch für die 134 Toten an der Ahr.

Bewegendes Gedenken an die Opfer und Folgen der Flut- und Hochwasserkatastrophe vor einem Jahr: Ökumenischer Gottesdienst mit Bundespräsident und Ministerpräsident in Euskirchen (Foto: J. Gerhardt)

Trauer und Klage, aber auch Dank für Unterstützung – viel schwingt mit an diesem Jahrestag in der mit 500 Menschen gefüllten katholischen Stadtkirche. „Viel mehr als man in Worten fassen kann“, sagt eine Frau, die dem ökumenischen Gottesdienst in sich gekehrt aus einer der vorderen Bänke verfolgt. Sie hat ihre Mutter in der Hochwassernacht verloren. „Meine Mutter würde sich freuen, wenn sie mitbekommen würde, dass wir so um sie trauern.“

Die Landesregierung hatte sie wie alle Angehörigen von Opfern aus NRW persönlich eingeladen. „Die Gemeinschaft tröstet mich“, sagt sie. „Die Musik, die Nachdenklichkeit und vor allem die vielen Augenblicke der Stille im Gottesdienst“ täten ihr gut. Ein Mann neben ihr in der Bank, auch ein Angehöriger, nickt zustimmend. Der Schmerz verbindet die beiden, und der Trost auch.

Pfarrer Weichsel aus Euskirchen: „Trauer, Ärger und Dank liegen nah beieinander“

Für Gregor Weichsel, evangelische Pfarrer in Euskirchen, liegen ein Jahr nach der Katastrophe Trauer, Ärger über die Probleme, finanzielle Hilfe zu bekommen, und Dankbarkeit für Rettung und Hilfe nah beieinander. „Manchmal sogar alles in einem Menschen.“

„Jedes Gewitter löst auch bei mir neu Ängste aus“, sagt der Pfarrer. Er habe seit dieser traumatischen Nacht „ein angespanntes Verhältnis zu Dauerregen und großen Pfützen“. Den Gottesdienst überlässt Pfarrer Weichsel seinem Präses und der örtlichen Superintendentin. Er geht zur öffentlichen Gedenkstunde der Stadt in einem Park hinter dem seit der Flutnacht geschlossenen „City-Forum“. Dem zentralen Versammlungsort in Euskirchen, der wie die ganze Innenstadt vor einem Jahr komplett abgesoffen ist und noch nicht wieder nutzbar. Genau zu der Zeit als vor einem Jahr das Wasser stieg und stieg legen die Menschen hier Blumen nieder.

Und wieder läuten die Glocken, dieses Mal aller Kirchen. „Wir wollen weiter für die Menschen da sein“, sagt Pfarrer Weichsel und findet: „Die Menschen sind in der Katastrophe zusammengerückt und das ist geblieben.“ Übrigens auch die Kirchen vor Ort, Diakonie und Caritas mit ihren engen, aufeinander abgestimmten Hilfsangeboten.

Herbert Beckmann, Mitarbeiter der Diakonie-Katastrophenhilfe, zuständig für die Wärmehilfe im Hochwassergebiet an der Ahr, besucht das stark betroffene Ahrweiler an der Ahr, um sich die Schäden anzuschauen. (Foto: Frank Schultze/DKH)

Kirchen, Caritas und Diakonie helfen gemeinsam

Die Notfallseelsorge arbeitet ohnehin konfessionsübergreifend. „In der Not fragt keiner: Bist du evangelisch oder katholisch“, erklärt Klaus Ersfeld, katholischer Diakon. Im Namen der Notfallseelsorger liest er eine Fürbitte im Gottesdienst. Es war ausdrücklich Wunsch des Bundespräsidialamts, die Notfallseelsorge an dieser Feier zu beteiligen, heißt es, was diese dankbar wahrgenommen haben. Zehn Seelsorgende – darunter eine Muslima – sind vor Ort, immer gut zu erkennen mit ihren lila-bunten Jacken. Mit wachem Blick, wer von der Trauergemeinde persönliche Hilfe oder Trost benötigt.

„Die Trauer dauert an“, sagt Diakon Ersfeld. Darum sei der Gottesdienst „mit der hohen Politik“, Bundespräsident, Ministerpräsident und vielen weiteren Vertreterinnen und  Vertreter von Staat und Gesellschaft so wichtig. „Die Menschen spüren, mein Leid wird gesehen und anerkannt.“ Nicht nur finanziell. Rituale wie so eine Gedenkfeier seien „ein Anker, an dem sich Menschen mit ihrer Hilflosigkeit und Angst festmachen können“.

Superintendentin Claudia Müller-Bück: „Zeit geben, dass die Seele hinterherkommt“

Superintendentin Claudia Müller-Bück vom Evangelischen Kirchenkreis Bad Godesberg-Voreifel zeigt Verständnis für Angehörige, die trotz Einladung nicht am zentralen Gedenkgottesdienst teilnehmen. Sie verweist darauf, dass in allen betroffenen Kommunen zum Jahrestag ökumenische Andachten und Versammlungen gibt. „Diese Orte der Begegnung und des Miteinanders in der Nachbarschaft, mit den Familien sind mindestens so wichtig wie die hochoffiziellen Gedenkfeiern“, so ihre Einschätzung. An vielen Orten seien Seelsorgerinnen und Seelsorger als Ansprechpartner dabei.

„Wir brauchen einen langen Atem“: Superintendentin unseres Nachbar-Kirchenkreises Bad Godesberg-Voreifel, Pfarrerin Claudia Müller-Bück. (Foto: Meike Böschemeyer)

„Beeindruckend viel Hoffnung und Zuversicht“ erlebt Claudia Müller-Bück bei den Menschen, „aber auch viel Erschöpfung und Leere“ nach all den Anstrengungen der vergangenen zwölf Monate. „Wir müssen uns Zeit geben, dass die Seele hinterherkommt“, so die Pfarrerin, die im Gottesdienst eindringlich von ihrer eigenen Gemeinde in Swisttal erzählt. Auch sie war heftig betroffen, und dass so viele seit einem Jahr im Einsatz sind für die Flutopfer und Geschädigten. Und das werde das nächste Jahr so weitergehen, erwartet sie und erzählt von einem wöchentlichen „Hochwasserhilfe-Café“ der Diakonie, zu dem immer noch neue Menschen dazukommen. „Wir brauchen einen langen Atem.“

Präses Thorsten Latzel: „Wir leben auf Hoffnung hin“

Berührend berichtet auch Malte Duisberg, Geschäftsführer des Evangelischen Alten- und Pflegeheim Gemünd, wie sich die Menschen, Mitarbeitende wie Bewohner, bis heute gegenseitig stärken und unterstützen, wieder ins Leben zu finden. „Wir leben auf Hoffnung hin“ nimmt der rheinische Präses Dr. Thorsten Latzel die Gedanken auf in seiner Predigt, eine Ansprache über die archaische und jetzt neu so präsente Geschichte von der Sintflut und der Arche Noah aus der Bibel.

Bundespräsident Steinmeier und Ministerpräsident Wüst mit nachdenklichen Worten

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hörte allen Beiträgen aufmerksam zu und äußerte im Anschluss Verständnis für die Ungeduld der Flutopfer mit Blick auf den Wiederaufbau. An die Menschen, die Verantwortung im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau tragen, appellierte der Bundespräsident: „Lassen Sie nicht nach in Ihren Anstrengungen, damit den Menschen effektiv und unbürokratisch geholfen wird!“ NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst dankte einmal mehr ausdrücklich allen Helfenden und nannte die Katastrophe „ein trauriges wie mahnendes Zeugnis des menschengemachten Klimawandels“ und kündigte die Errichtung eines „Gedenkwalds“ zur Erinnerung an die Flutopfer an.

Dank für alle Helferinnen und Helfer, besonders auch der Notfallseelsorge in Bonn und der Region, die auch den Gedenkgottesdienst mitgestaltet (Foto: J. Gerhardt)

Dank an die vielen Helfer und die Notfallseelsorge

Für Bianca van der Heyden, Landespfarrerin für Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche im Rheinland, ist der Gedenktag mit Gottesdienst ein „ganz wichtiger Tag auch für alle Retter und Helfer“. Auch sie hätten „bisher einzigartige Erfahrungen machen müssen, die sich hoffentlich so nicht wiederholen, aber verarbeitet werden müssen“, erklärt die Landespfarrerin am Rande des Gottesdienstes. Sie hat den Einsatz vor einem Jahr koordiniert und ist sich sicher: „Wir werden auch in den nächsten Jahren diese Tage und Rituale zum Nachdenken und Innehalten brauchen.“

Text: epd / ger

Diakonie und Kirche im Ensatz

Was Diakonie und Kirche auch weiterhin tun und wo und wie sie für die Menschen da sind, lesen Sie hier mit einem Beispiel auf der Seite unseres Nachbarkirchenkreises An Sieg und Rheinhttps://www.ekasur.de/flutkatastrophe-vor-einem-jahr-die-diakonie-bleibt-und-hilft-weiter/