Der Bonner Pressepfarrer und Journalist Joachim Gerhardt wieder einmal auf geistlicher Spurensuche unterwegs an Orten, die viel über das Leben erzählen, nachdenklich machen, Trost schenken und immer auch ein Stück Hoffnung vermitteln.
Anmoderation: Der Ort, an den wir Euch jetzt mitnehmen wollen, liegt mitten in der Nordsee. Zweieinhalb Stunden dauert die Überfahrt, bis die „Lange Anna“ in Sicht kommt. Dieser riesige rote Felsen, der wie ein Turm aus dem Wasser ragt, ist das Wahrzeichen von Helgoland – Deutschlands einziger Hochseeinsel. Und genau dort hat mein Kollege Joachim Gerhardt einen faszinierenden Friedhof entdeckt …

Joachim Gerhardt: Ein großer, rostiger Anker, uralte Holzplanken und helle Kieselsteine liegen auf dem Boden. Zusammen bilden sie den Rumpf eines Schiffes. Gedenksteine erinnern an eine Seeschlacht vor Helgoland und Holzkreuze an tote oder verschollene Menschen. Viele der Kreuze tragen nur ein Datum, denn das hier ist der „Friedhof der Namenlosen“
Jürgen Fitschen: Ja, es ist ein Ort der Stille. Er ist ein Ort, der uns daran erinnert, wie gefahrvoll das Leben hier auf der Insel ist …
Joachim Gerhardt: … erzählt Jürgen Fitschen. Er ist Museumsdirektor von Helgoland und kennt Dutzende Geschichten über Stürme, Schiffbrüche und Untergänge:

Jürgen Fitschen: Man muss dazu sagen, dass nirgendwo sonst so viel gestrandet wurde wie hier um Helgoland herum. Das Wasser um Helgoland hat immer so eine Tiefe von zehn bis 20 Meter. Und je nach Wellengang und so hat man Amplituden und tiefe Stellen, die dann dazu führen, dass Felsriffe auch freigelegt werden, Schiffe dort aufsetzen. Das ist hier über die Jahrhunderte immer wieder passiert. Und hier ist auf See sehr viel gestorben worden.
Im Tod sind alle gleich: Der „Friedhof der Namenlosen“
Joachim Gerhardt: Der Friedhof der Namenlosen erinnert an diese Menschen – vor allem auch an die, die draußen auf See geblieben sind. Andere wurden an Land gespült oder konnten nur noch tot aus den Fluten geborgen werden. Hier liegen Seenotretter, die beim Einsatz ums Leben gekommen sind, direkt neben Fischern und Meeresforschern. Auch Soldaten aus zwei Weltkriegen und sogar Piraten sind hier begraben. Für Jürgen Fitschen kein Problem:
Jürgen Fitschen: Tote sind Gestorbene. Sie alle verdienen, dass man an sie denkt. Ob sie schuldig sind oder nicht schuldig sind, spielt vielleicht auf einer anderen Ebene eine Rolle, zunächst einmal haben sie alle erst einmal dasselbe Schicksal erlitten und liegen da richtig.
Joachim Gerhardt: Der Friedhof war nicht immer an dieser Stelle. Als die Nazis auf Helgoland einen gigantischen Hafen für U-Boote und Kriegsschiffe planen, muss der Friedhof weichen. Aber er verschwindet nicht. Die Helgoländer haben ihn sorgfältig umgebettet und pflegen ihn bis heute. Inzwischen ist er auch ein Gedenkort für Menschen, die auf See bestattet wurden. An sie erinnern kleine bunte Gedenksteine – und am Eingang eine Kirchenglocke. (ATMO 2023-08-HuE_HelgolandGlockenschlag)
Jürgen Fitschen: Das ist eine alte Glocke, die jeder Besucher ein einziges Mal zum Klingen bringen kann und damit das Gedenken und das Erinnern auslöst.
Joachim Gerhardt: Joachim Gerhardt für Himmel und Erde.

Nachhören
Der Beitrag ist zu hören am 20. August 2023 in der Sendung Himmel & Erde, dem Magazin der Kirchen immer sonntags und feiertags von 8.00 bis 9.00 Uhr auf Radio NRW / Redaktion: Manfred Rütten, Hier können Sie den Beitrag anhören: http://www.himmelunderdeonline.de
(20.08.2023 / ger)