Die Brandung tost, die Gischt schäumt. Möwen kreischen. Doch ist die Szenerie wirkt auf mich auf erstaunliche Weise anders still. Kein Verkehrslärm, kein Handyempfang. Niemand weit und breit. Alle mir bekannten Alltagsräusche sind stumm. Ich stehe am späten Abend an der Westseite der Belle Ile. Die Naturgewalt des atlantischen Ozeans prallt hier an der Steilküste der Insel vor der Bretagne auf den europäischen Kontinent.

So viel Wasser, so viel Kraft. Der Mensch wird hier klein, sehr klein. Die Natur ist so viel größer. Ich denke an den Klimawandel, an den Krieg. Warum richtet der Mensch immer wieder so viel Schaden an?
Warum versteht der Mensch nicht, dass er nur ein kleiner Teil der Welt ist? Oder biblisch gesprochen ein verantwortlicher Teil der Schöpfung, die so viel mehr umfasst als die Wissenschaft und erst recht ich selbst begreifen kann. Wir haben gerade mal fünf Prozent des Universums wirklich erforscht. Alles andere ist dunkle Materie. – Ich schaue hinab ins schwarze Wasser. Hier fängt das Dunkle an.
Was führt in eine gute Zukunft? Verstehen allein reicht nicht. Ehrfurcht vor der Natur ist angesagt. Und aus dieser Ehrfurcht wächst die Achtsamkeit im Umgang mit anderen. Und die Kraft, mich für den Schutz der Umwelt und gegen Krieg und Gewalt für den Frieden einzusetzen. Ich spüre das hier. Ein geradezu religiöser Ort. Gott spricht zu mir: Mensch, nimm dich nicht so wichtig! Und teile das Glück, dass das Leben dir schenkt, dankbar mit anderen.
Das ist der Auftrag, wenn wir uns als Teil der Schöpfung verstehen. Dankbarkeit, Ehrfurcht und Demut. Sie sind Voraussetzung, wenn das Leben einen Sinn haben soll.
Joachim Gerhardt

Geistlicher Impuls
Joachim Gerhardt, Pfarrer an der Bonner Lutherkirche und Pressesprecher des Kirchenkreises Bonn, schreibt alle drei Wochen das „Wort zum Sonntag“ in der Gesamtausgabe der Kölnischen/Bonner Rundschau, auf Seite 4 in der der großen Tageszeitung in der Köln-/Bonner Region. Hier erfahren Sie mehr: www.rundschau-online.de
(Text erscheint am 27.07.2024)
