Wort zum Sonntag: Demut und Dank

Sieben Meter hohe Wellen, brausende See, vier Grad Wassertemperatur. Orkan in der Nordsee. Ein holländischer Fischkutter funkt SOS. Der Seenotrettungskreuzer Adolph Bermpohl, der größte und schnellste seiner Zeit, kämpft sich durch das brüllende Meer. Acht Seemeilen nördlich von Helgoland geht es um Leben und Tod. Dann der erlösende Funkspruch. „Wir haben sie und nehmen sie an Bord.“ Entwarnung.

Schiffsanker am Eingang zum „Friedhof der Namenlosen“ auf der Insel Düne bei Helgoland (Foto: Joachim Gerhardt)

Was dann passiert? Keiner weiß es genau. Der Funkverkehr reißt ab. Beim Aufnehmen der Schiffbrüchigen muss eine Superwelle die Adolph Bermpohl und das Beiboot überrollt haben. Der Rettungskreuzer treibt Tage später auf offener See. Keiner an Bord. Tage, Wochen später werden sechs Leichen gefunden, die der drei Fischer sowie drei der vier Seeretter. Der vierte bleibt für immer verschwunden.

Gedenkstein an eine Katastrophe auf dem kleinen „Friedhof der Namenlosen“ auf der Insel Düne bei Helgoland (Foto: J. Gerhardt)

Ich stehe auf der Düne, so heißt die kleine Nachbarinsel von Helgoland. Hier erinnert ein Gedenkstein an die Tragödie. Sie lässt einen auch nach 56 Jahren noch still werden. „Friedhof der Namenlosen“ heißt dieser Ort. Er hält die Geschichte wach und erinnert mit Gedenksteinen an viele weitere Menschen, Fischer, Soldaten, Meeresforscher. Er ist auch ein Ort der Demut. Die Natur kann mächtiger sein als der Mensch.

Die Helgoländer haben zum Eingang in den Dünen eine Kirchenglocke aufgestellt. Jeder Besucher darf sie zum Klingen bringen. Ein tröstlicher Klang hallt über die Insel und das Meer. Und ich denke, Gott sei Dank, dass mein Leben von solch einer Katastrophe bislang verschont geblieben ist. Und jeder Mensch, auch jeder Verstorbene hat es verdient, dass man an ihn denkt, auch wenn man gar nicht weiß, wo er jetzt gerade ist. Joachim Gerhardt

Kölnische/Bonner Rundschau

Geistlicher Impuls

Joachim Gerhardt, Pfarrer an der Bonner Lutherkirche und Pressesprecher des Kirchenkreises Bonn, schreibt alle drei Wochen das „Wort zum Sonntag“ in der Gesamtausgabe der Kölnischen/Bonner Rundschau, auf Seite 4 in der der großen Tageszeitung in der Köln-/Bonner Region. Hier erfahren Sie mehr: www.rundschau-online.de

(Text erscheint am 15.07.2023)

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Inselkreuz auf Helgoland (Foto: J. Gerhardt)